Mord und Ratschlag
Zutritt nur mit rotem Pass
Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
08.12.2014. In seinem Thriller "London Underground" legt Oliver Harris in halsbrecherischem Tempo das unterirdische Nervensystem der britischen Hauptstadt frei. Denise Mina erzählt in ihrem Roman "Das Vergessen" von Korruption und Verrohung in Glasgow.![](https://www.perlentaucher.de/cdata/K2/T22/A8936/1418134516678.jpg)
Dieses atemlose Schreiben, das eine Szene an die nächste reiht, könnte etwas ermüdend sein, wenn Oliver Harris einen nicht mit seinem tollen Stoff bei der Stange hielte. Mit "London Underground" untergräbt er sozusagen jede Bodenhaftung: Bei der Verfolgung eines rasenden Autofahrers stößt Nick Belsey mitten im Zentrum der Stadt auf den Zugang zu einem gewaltigen unterirdischen Tunnelsystem mit verlockenden Warnschildern: "Zutritt nur mir rotem Pass". Dass die britische Regierung während des Zweiten Weltkriegs unterirdische Bunker hatte errichten lassen, war ihm bekannt, doch in den Tunneln hier entdeckt er ein Zivilschutzsystem deutlich jüngeren Datums, mit Schutzräumen und Schlafsälen für Tausende von Menschen, kompletten Feldapotheken und kistenweise Champagnervorräte, Krug aus dem Jahr 1970. Und weil Nick Belsey ein unverbesserlicher Windhund ist, macht er nicht ordnungsgemäß Meldung, sondern nimmt die Studentin Jemma mit zum Tête-à-Tête im Kriegsambiente. Prompt wird das Mädchen entführt, und anschließend erfährt Belsey vom Tod zweier Männer, der jedoch auf Anweisung von oben unter der Decke gehalten wird.
Jemmas Entführer, der sich nach einem nie enttarnten Sowjetspion "Ferryman" nennt, lockt Belsey mit ominösen Anrufen und eigens für ihn ausgelegten Fährten in ein etwas angestrengtes Katz- und Mausspiel, bei dem der Detective Constable mehr und mehr in die Rolle des Gejagten gerät. Bald sind nicht nur seine eigenen Polizeikollegen hinter ihm her, sondern auch und vor allem die Herren vom Geheimdienst.
Doch auch wenn die Konstruktion des Plots ungefähr so instabil ist wie sein Held, entfaltet der Roman im Jahr zwei nach Edward Snowdens Enthüllungen über die Arbeit der amerikanischen und britischen Geheimdienste eine ungeheure Wirkung. Wie fest ist der Boden der Tatsachen, wenn unter ihm die Bunker entlangführen, die, wie sich ja immer wieder herausstellt, weniger dem Schutz der Bevölkerung dienen als dem Vergraben von schmutzigen Staatsgeheimnissen? Wenn sich die Zentren von Telekom und Post als zentrale Knotenpunkte auch der militärischen und geheimdienstlichen Kontrolle erweisen? Wenn die britische Presse mir nichts dir nichts einen Maulkorb verhängt bekommt?
Besonders schöne Zweifel an der Welt, wie wir sie kennen, streut Harris, wenn er die Geschichte des Centre Point neu schreibt, eines Hochhauses im Zentrum Londons, dem die Regierung allen Bauvorschriften zum Trotz eine Sondergenehmigung erteilte und das der Investor anschließend zehn Jahre leer stehen ließ. Ist es Zufall, dass die rationalistischen Betonbauten des Brutalismus atombombensicher waren? Oder eine andere hübscher Einfall: Zu Dianas Beerdigung wurde der Parliament Square mit zusätzlichen Blumenrabatten versehen. Aber nicht der Zier oder Pietät wegen, sondern um die Menschenmassen fernzuhalten, die sonst im ausgehöhlten Untergrund versunken wären. Also auch so ein Fall von: Misstraut den Grünanlagen!
Oliver Harris: London Underground. Roman Aus dem Englischen von Gunnar Kwisinski. Blessing Verlag. München 2014, 448 Seiten, 19,99 Euro
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Vierzehn Jahre später wird ein wohlhabender pakistanischer Geschäftsmann ermordet, und auf der Tatwaffe werden die Fingerabdrücke eben jenes Michael Brown entdeckt, obwohl der Mann zur Tatzeit im Gefängnis saß. Detective Inspector Alex Morrow ermittelt in einem finsteren Fall sexueller Ausbeutung und damit - wie so oft in Großbritannien - in nicht sehr vornehmen, aber gehobenen Kreise. Als schottische Ermittlerin ist diese Polizistin ein absoluter Sonderfall: Sie ist Mutter zweier Kinder und absolut zufrieden mit ihrer Arbeit. Sie trinkt nicht, hat einen klaren Verstand und kommt auch bestens mit Männern klar.
Denis Mina lehrt Kriminologie an der Universität von Glasgow und gehört zu den erfolgreichsten Vertreterinnen des schottischen Kriminalromans. Auch wenn hierzulande ihre Romane nie richtig gezündet haben, ist sie in Großbritannien so bekannt wie Val McDermid oder Louise Welsh. Allerdings sind ihre Krimis deutlich konventioneller gestrickt, sogar ein bisschen vorhersehbar. Sie schreibt sehr geradlinig, zeichnet ihre Charaktere jedoch sehr genau und klug, und hat vor allem ein gutes Auge für die verschiedenen sozialen Milieus von Glasgow, deren Verrohung und Korrumpierung sie präzise und in den feinen Nuancen von Dunkelgrau nachzeichnet. In "Das Vergessen" erzählt sie, ohne sarkastisch zu werden, wie bitter sich gute Taten rächen, wenn sie aus böser Absicht geschehen.
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Denise Mina: Das Vergessen. Roman. Aus dem Englischen von Heike Schlatterer. Heyne Verlag, München 2014, 352 Seiten, 9,99 Euro
William McIlvanney: Laidlaw. Roman. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Antje Kunstmann Verlag, München 2014, 320 Seiten, 19,95 Euro
Ian Rankin: Schlafende Hunde. Roman. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Manhattan Verlag. München 2014, 462 Seiten, 19,99 Euro ().
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